Zweite Generation von Handschuhmachern

Thomas Riemer stieg mit Anfang 20 ins Handschuhgeschäft ein und arbeitete an der Seite seines Vaters Erwin Riemer, Miteigentümer der österreichischen Handschuhmarke RIKA. Riemer Senior und sein Partner hatten RIKA in den 60er Jahren gegründet und produzierten in ihren Werkstätten in Österreich und Ungarn sowohl Mode- als auch Sporthandschuhe.

Die Innovationen bei der Herstellung von Sporthandschuhen bescherten RIKA jedoch im Jahr 1964 unerwarteten Ruhm, als Österreich die IX. Olympischen Winterspiele in Innsbruck ausrichtete und das Unternehmen offizieller Handschuhausrüster der olympischen Skinationalmannschaften Österreichs, der Schweiz und Liechtensteins wurde.

Die Fingerknöchelfalte für erhöhten Tragekomfort, der sogenannte Saunahandschuh mit Verschlussklappe gegen eindringende kalte Luft, aber auch das moderne Design und die leuchtenden Regenbogenfarben trugen dazu bei, dass sich die Handschuhmarke RIKA in der Wintersportwelt etablierte und ihren Erfolg ausbaute.
Im Laufe der Jahre belieferte RIKA auch die Spanische Hofreitschule in Wien, die österreichische Polizei und andere Behörden mit Handschuhen. Riemer Senior arbeitete mit dem Trachtenhersteller Giesswein zusammen und verkaufte seine Handschuhe bei Saks 5th Avenue in New York und Harrods in London.

Doch als Erwin im Jahr 2001 verstarb, stellte RIKA seine Geschäftstätigkeit ein und sein Sohn Thomas, der Vertriebsleiter für Europa, zog sich aus der Handschuhbranche zurück.

Sechs Jahre später wandten sich die Besitzer des ältesten Wiener Handschuhgeschäfts, die kurz vor der Pensionierung standen, an Riemer junior und fragten ihn, ob er ihr Geschäft übernehmen wolle. Die österreichischen Handschuhmacher waren, wie viele andere Handwerksberufe in Industrieländern, ausgestorben, und auch die meisten Menschen, die über das nötige Wissen und die nötige Handwerkskunst verfügten, waren verschwunden. Für die Besitzer des 1845 gegründeten Wiener Handschuhgeschäfts war Thomas Riemer der einzige junge Mann, den sie kannten und der das nötige Know-how besaß, um die Familientradition fortzuführen.

VOM HÄNDLER ZUM HERSTELLER
Als neuer Besitzer des ältesten Handschuhgeschäfts Wiens erlebte der junge Riemer die Kundenbetreuung aus erster Hand und musste bald feststellen, dass die Handschuhe französischer oder italienischer Hersteller, die er in seinem Geschäft verkaufte, seinen österreichischen, deutschen und schweizerischen Kunden nicht passten. Zumindest nicht so, wie er es von seinem Vater wusste.
Mit den alten Schnittmustern für Straßenhandschuhe seines Vaters beschloss Riemer, nach Ungarn zu gehen, um die alten Hersteller und Handwerker zu suchen. Einige von ihnen waren im Ruhestand, hatten aber viel Zeit und den Willen, wieder zu arbeiten. Die Handschuhe, die zunächst in ungarischen Fabriken hergestellt wurden, waren so erfolgreich, dass andere Wiener Geschäfte Thomas Riemer baten, sie zu beliefern.
2009 beschloss Riemer, in Ungarn eine eigene Werkstatt zu eröffnen und mietete 50 Quadratmeter in einem Industriegebäude. Er stellte zwei erfahrene Handschuhschneider und fünf hochqualifizierte Frauen ein. Von zwei alten ungarischen Fabriken, die ihre Produktion eingestellt hatten, kaufte er drei alte Nähmaschinen. Für die handgenähten Handschuhe fand er Näherinnen, die früher mit seinem Vater gearbeitet hatten, der heute weit über 60 oder gar 70 Jahre alt ist und von zu Hause aus arbeitet.
Riemer selbst übernahm die Recherche und Beschaffung der Materialien sowie die Vermarktung und den Verkauf der unter seiner eigenen Marke TR Handschuhe Wien hergestellten Handschuhe.
Im selben Jahr trat die Spanische Hofreitschule in Wien an Riemer heran und fragte ihn, ob er die Tradition seines Vaters fortführen und die Handschuhe für die Reiter herstellen dürfe. Diese ungefütterten Handschuhe aus Rehleder zeichnen sich durch eine spezielle Knotenstichnaht aus, die in der Handschuhmacherzunft als Kunst für sich gilt. Die Maschinen, die praktisch nach jedem Stich einen Knoten bilden, wurden jedoch vor dem Ersten Weltkrieg für die deutsche Heeresindustrie gebaut und sind seitdem verschwunden. Aus einer alten Werkstatt gelang es Riemer, die letzte und einzige noch existierende Maschine dieser Art (siehe Abbildung oben) in Österreich zu erwerben. So wurde er zum exklusiven Handschuhhersteller der traditionellen naturfarbenen Rehlederhandschuhe der Spanischen Hofreitschule in Wien.
Innerhalb weniger Jahre erlangte der Name Riemer in der Handschuhbranche wieder Bekanntheit, und die TR-Handschuhe fanden ihren Weg in renommierte Herren- und Damenboutiquen sowie Kaufhäuser in Europa und darüber hinaus. Aktuell werden Thomas Riemers handgefertigte Straßenhandschuhe in über 150 Geschäften in zwölf Ländern verkauft, darunter in den USA, Kanada, Russland, Japan und Südkorea.